Kapitel 1

Lehren aus der Corona Krise und Ausblick in die Zukunft

17.02.2022

Die Corona Pandemie begleitet uns nun schon das zweite Jahr und hat unser gewohntes Leben und Arbeiten dramatisch verändert. In dieser Zeit zeigt sich einmal mehr, wie wichtig Gewerkschaften sind, damit sich nicht allein wirtschaftliche, kapitalistische Interessen durchsetzen. ver.di hat sich dafür eingesetzt, und tut es weiterhin, Einkommen zu sichern und Entlassungen zu verhindern.

Betriebliche Mobilisierung für tarifpolitische Auseinandersetzungen ist unter diesen Umständen nur eingeschränkt möglich. Dennoch haben wir uns in allen Bereichen mit und für unsere Mitglieder dafür eingesetzt, Belastungen und soziale Härten abzufedern, Sicherheit und Perspektiven zu schaffen sowie Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das machen wir gegenüber der Politik auf Bundes- und Landesebene, über Tarifverträge mit den Arbeitgebern und direkt in den Betrieben, Einrichtungen und Verwaltungen sehr erfolgreich. Wir haben für über eine Million Beschäftigte in der Altenpflege Prämien durchgesetzt, in vielen Tarifverträgen eine steuerfreie Corona-Prämie und/oder die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vereinbart und eine gesetzliche Erhöhung und Verlängerung des Kurzarbeitergeldanspruchs sowie eine Erhöhung der Tage mit Anspruch auf Kinderkrankengeld erreicht.

Corona hat noch einmal deutlich gemacht, welche Stellschrauben die Politik schnellstmöglich angehen muss, auch und vor allem auf Landesebene. Neben den bereits angesprochenen Problemfeldern gibt es noch weitere, konkretisierte Forderungen, mit denen sich die Gewerkschaft ver.di in NRW klar und deutlich auf den folgenden Seiten positioniert.

 

  • Corona und die Arbeitswelt:

    Unser Ziel ist es, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu erhalten sowie die Beschäftigten weiterhin vor der Verbreitung des Virus zu schützen!
    Für unsere Werte und Ziele, für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, für gute Arbeit und gutes Leben in einem demokratischen Sozial- und Rechtsstaat stellt Corona eine Bewährungsprobe dar. Wir stehen auf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, für eine solidarische und gerechte Politik auch und gerade in Zeiten der Pandemie. Wir engagieren uns dafür in allen Betrieben und Verwaltungen, in der Öffentlichkeit und im politischen Raum, in antirassistischen und antifaschistischen Bündnissen.

    ver.di setzt sich mit aller Kraft für den Erhalt jedes Arbeitsplatzes und, wo nötig, für die Schaffung alternativer und attraktiver Beschäftigung ein. Neben staatlichen Hilfen für besonders betroffene Unternehmen fordert ver.di daher ein umfangreiches Konjunktur- und Investitionsprogramm, das zugleich den Sozialstaat ausbaut, die Daseinsvorsorge stärkt und die sozial-ökologische Transformation voranbringt.
    Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst machen - nicht nur in der Pandemie - eine hervorragende Arbeit. Der „Dank“ fällt spärlich aus, es braucht endlich eine wirksame Attraktivitätsoffensive für den öffentlichen Dienst.

    Eine Re-Regulierung des Arbeitsmarktes, d. h. die Überwindung von Minijobs, Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen und die Eindämmung von Leiharbeit sowie die gesetzliche Streichung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit ist vonnöten. Ebenso ein Landesentgeltgleichheitsgesetz mit verpflichtenden EG-Check-Überprüfung der Eingruppierung, um die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern weiter einzugrenzen bzw. abzuschaffen. Das bestehende Entgelttransparenzgesetz ist durch eine Bundesratsinitiative wirksam weiterzuentwickeln und um gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Prüfverfahren zu ergänzen.
    Auch die geplante Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro muss schnellstmöglich erfolgen und anschließend existenzsichernde, weitere Anhebungsschritte möglich sein. Es braucht zudem eine neue, tarifvertraglich geregelte, Arbeitszeitinitiative, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den öffentlichen Fokus zu rücken.
    Auch die Interessen der Schwerbehindertenvertretungen (SBV) müssen berücksichtigt und besonders die Integration von Menschen mit Behinderungen sichergestellt werden. Zudem muss sich weiterhin dafür eingesetzt werden, dass Arbeitgeber*innen die Rechte der Menschen mit Behinderung und der Schwerbehindertenvertretungen beachten.

     

  • Corona und der ökologische Wandel:

    Eine zentrale Herausforderung besteht darin, die Verkehrs-, Energie- und Agrarwende ökonomisch vernünftig und sozialverträglich zu gestalten. Dafür brauchen wir jetzt eine große grüne und soziale Investitionsoffensive, einen Green New Deal. Der ÖPNV muss bis zu einer Verdopplung der Beförderungskapazitäten ausgebaut werden. Auch bedarf es mehr Photovoltaik-Freiflächenanlagen, Solaranlagenzwang auf allen geeigneten Dächern, weiteren Flächen für Windkraftanlagen, den Aus- und Umbau der Stromnetze sowie mehr Strom- und Wärmespeicher. Auch muss verstärkt in Energieeffizienz und Energieeinsparung investiert werden. Die internationalen Wertschöpfungsketten und Handelsströme müssen sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet werden. Und die Pandemie zeigt, dass eine ausreichende Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern, wie beispielsweise Schutzanzügen, Masken und Medikamenten eigenständige Produktionskapazitäten in Europa voraussetzt.
    Die digitale Transformation wird gerade in vielen Bereichen massiv beschleunigt. Auch bedingt durch die „Lockdowns“ wird immer mehr von Zuhause aus gearbeitet. Die Bedingungen sind allerdings alles andere als optimal. Aktuell wird deutlich, dass es an klaren gesetzlichen Regeln wie einem Recht auf freiwilliges Homeoffice oder auf mobiles Arbeiten auch für „normale“ Zeiten mangelt.

     

  • Unsere Unterstützung für Beamtinnen und Beamte:

    ver.di NRW ist gemeinsam mit dem DGB NRW im Austausch mit der Landespolitik, die Arbeitsbedingungen der Landesbeschäftigten sowie Beamt*innen zu verbessern. Im Detail wurden bereits mehrere Stellungnahmen in den Landtag eingebracht. Generell muss man (immer noch) konstatieren: es sind allein rund 15.000 Stellen in der Landesverwaltung unbesetzt. Ein neuer Höchststand und dass angesichts der Tatsache, dass die Pandemie aber auch die Flutkatastrophe eindringlich die Notwendigkeit eines funktionierenden öffentlichen Dienstes unter Beweis gestellt hat.
    Das Beamtenrecht muss dringend grundlegend entstaubt und modernisiert werden, wenn junge Menschen als Fachkräfte gewonnen werden sollen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielen dabei ebenso eine Rolle, wie flexiblere Arbeitszeitmodelle, bessere Anwärter*innenbezahlungen, Sicherstellung der Personalausstattung und die Digitalisierung der Arbeit. Zudem braucht es eine Absenkung der regelmäßigen Arbeitszeit der Landes- und
    Kommunalbeamt*innen auf 39,5 Stunden bzw. 39 Stunden wöchentlich.

    Im Bereich der Feuerwehren und der Justiz wie auch in weiteren bürgernahen Diensten warten tausende Beschäftigte seit langem auf die Wertschätzung ihrer Arbeit, auch in Form von besserer Bezahlung. Neben den o.g. Forderungen für alle Landesbeschäftigten muss auch endlich Schluss sein mit den Sonderopfern von Beamt*innen des Landes und der Kommunen in NRW! Beamt*innen leisten mit qualifizierter und verlässlicher Arbeit maßgebliche Beiträge zu einem funktionierenden öffentlichen Dienst, und das nicht selten unter Inkaufnahme von Gefahren für ihre persönliche Gesundheit (Stichwort Gewalt gegen Beschäftigte, Infektionsrisiken, Arbeitsüberlastungen).

     

  • Die Aufgaben des Sozialstaats festigen:

    Unser Sozialstaat hat sich in der Krise bewährt. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik hat bislang Massenarbeitslosigkeit verhindert. Jedoch hat die Pandemie auch die Grenzen einer unterfinanzierten öffentlichen Daseinsvorsorge und die Lücken der sozialen Sicherungssysteme aufgezeigt. Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wo dringend nachgebessert werden muss: Bei der Daseinsvorsorge, auf dem Arbeitsmarkt und bei der sozialen Sicherung.
    Die wirtschaftliche Entwicklung und der soziale Zusammenhalt unseres Landes sind abhängig vom Zustand der Daseinsvorsorge, der öffentlichen Güter und der sozialen Infrastruktur. Die Corona-Pandemie legt schon länger bestehende Defizite der Daseinsvorsorge offen. Viele Bereiche leiden aufgrund der politischen und fiskalischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte (Gewinnorientierung und Privatisierung, Steuerpolitik, Schuldenbremse, Krankenhausfinanzierung etc.) unter Personalmangel, Investitionsstau und sind chronisch unterfinanziert.
    Es bedarf zwingend einer dauerhaften Absicherung für Kommunen, über die die Investitionstätigkeiten deutlich gestärkt werden, sowie einer Altschuldenlösung!
    Das Gesundheitssystem muss finanziell und personell besser ausgestattet werden. Das betrifft die bedarfsgerechte Personalbemessung per Gesetz ebenso wie die ausreichende Finanzierung der Investitionskosten. Zudem fordern wir Schluss mit den Schließungen der Krankenhäuser und/oder weiterer Privatisierung im Gesundheitsbereich - das Gesundheitswesen gehört in öffentliche Hände.

    Neben dem, nur teilweise erfolgten, Ausgleich der coronabedingten Einnahmeeinbrüche beim ÖPNV, muss der öffentliche Nahverkehr endlich zügig ausgebaut werden. Im Handel braucht es allgemeinverbindliche Tarifverträge für die gesamte Branche mit gesundheits- und familienfreundliche Arbeitszeiten. Zudem muss ein wirksames Lieferkettengesetz die Unternehmen dazu verpflichten, bei ihren Zulieferern für menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sorgen. Auch bei der Städteplanung besteht dringend Handlungsbedarf hin zu einer Neuausrichtung und Attraktivierung der Innenstädte.
    Zudem bedarf es mehr Investitionen in Personal und Ausstattung bei der frühkindlichen Betreuung und der Behindertenhilfe sowie bessere Personalschlüssel. In einzelnen Bereichen der öffentlichen Verwaltung (Gesundheitsämter, Zoll, Bauämter etc.), wo es erkennbar personelle, strukturelle oder finanzielle Defizite gibt, muss die Politik endlich handeln.

    Aufsichtsbehörden für den Arbeits- und Gesundheitsschutz müssen so ausgestattet werden, dass die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften effektiv kontrolliert wird. Wir fordern die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft NRW mit entsprechendem Personaleinsatz.
    Unser betriebs-, tarif- und gesellschaftspolitisches Engagement für „Gute Arbeit“ ist aktueller denn je. Notwendig ist unter anderem eine gesetzliche Stärkung des Tarifvertragssystems. Wir fordern die zwingende Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen durch ein Landestariftreue- und Vergabegesetz, welches die öffentliche Auftragsvergabe ausnahmslos nur an Betriebe mit Tarifbindung erlaubt, sowie eine kollektive Nachwirkung von Tarifverträgen und eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit.

     

  • Betriebliche Mitbestimmung:

    Es fehlt ein verbindlicher Rahmen für betriebliche Mitbestimmung: Rechtsansprüche der Arbeitnehmer*innen, Pflichten der Arbeitgeber*innen, wie den Arbeits- und Gesundheitsschutz inkl. Nicht-Erreichbarkeitsregelungen und einen effektiven Schutz von Daten und Persönlichkeitsrechten.
    Die Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessensvertretungen müssen in allen Fragen der Digitalisierung in den entsprechenden Mitbestimmungsgesetzen ausgebaut und gestärkt werden. Außerdem sind tarifvertragliche Regelungen zur Gestaltung der Digitalisierungsprozesse erforderlich. Der Unfall- und Arbeitsschutz muss an die Gegebenheiten von Homeoffice angepasst werden.

     

  • Vermögen gerechter besteuern:

    Bereits vor der Corona-Pandemie waren die Vermögen in Deutschland sehr ungleich verteilt. Diese ungleiche Vermögensverteilung hat sich in der Pandemie drastisch verschärft. Die eklatante Vermögenskonzentration erfordert eine progressive Einkommens-, Erbschafts- und Eigentumsbesteuerung. Ein guter Startpunkt für eine umverteilende Steuerpolitik wäre die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Gleichzeitig brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte über eine umverteilende Steuerpolitik (Erbschafts-, Finanztransaktions-, Kapitalertragssteuer, Digitalisierungsabgabe) sowie die Ahndung der Steuervermeidungsstrategien des Kapitals.

    Wir werden daran arbeiten, gemeinsam mit Sozialverbänden, sozialen Bewegungen, Fridays for Future und progressiven Parteien, gesellschaftliche Mehrheiten für einen sozial-ökologischen Umbau zu organisieren. Dieser muss sich an den gesellschaftlichen Bedarfen anstatt der Profitmaximierung orientieren und zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führen. Zur Finanzierung müssen die großen Vermögen herangezogen werden.  

    Corona hat noch einmal deutlich gemacht, welche Stellschrauben die Politik schnellstmöglich angehen muss, auch und vor allem auf Landesebene. Neben den bereits angesprochenen Problemfeldern gibt es noch weitere, konkretisierte Forderungen, mit denen sich die Gewerkschaft ver.di in NRW klar und deutlich auf den folgenden Seiten positioniert.